Gordon by Edith Templeton

Gordon by Edith Templeton

Autor:Edith Templeton
Die sprache: deu
Format: epub


10. KAPITEL

AN DEM ABEND SAGTE GORDON, er würde mich zum Essen zu einem Freund mitnehmen, einem Psychiaterkollegen und Commissioner für Geisteskrankheiten im staatlichen Gesundheitsdienst. »Seine Frau ist auch Ärztin«, sagte er.

»Ich werde den ganzen Abend nicht den Mund aufmachen«, sagte ich, »sie muss fürchterlich gescheit sein.«

»Ach wo«, sagte er, »nur eine dumme Frau.«

Sie wohnten in South Kensington, in einer Nebenstraße der Cromwell Road, in einem hohen dunkelroten Backsteinbau mit niederländischen Volutengiebeln und winzigen Fenstern mit farbigen Scheiben beidseits der Eingangstür. Innen sah es nicht nur schäbig, sondern auch improvisiert aus, als ob die Bewohner entweder gerade eingezogen wären oder kurz davor stünden auszuziehen und in Ermangelung richtiger Möbel sich irgendwie behelfen müssten.

Mit Stoffstücken drapierte Kisten dienten als Beistelltische, und zum Sitzen gab es Küchenstühle, leinwandbespannte Klappstühle und hölzerne Gartenstühle; Pappkartons waren mit Büchern und Papieren voll gestapelt, und Wischeimer fungierten als Papierkörbe. Im Wohnzimmer gab es eine Stehlampe, deren Kabel sich über den Fußboden schlängelte und mit einer Steckdose im Flur verbunden war, was es unmöglich machte, die Tür jemals zu schließen.

Der Commissioner und dessen Frau waren beides ruhige, freundliche, füllige und rundgesichtige Vierziger; er kahl und mit Brille, sie mit unordentlich hochgebundenen, grau werdenden braunen Locken. Er trug alte Tweed und Flanellsachen, sie ein kariertes Hauskleid und Sandalen.

»In einer halben Stunde können wir essen«, sagte sie zu uns. »Wir warten auf die Schwester meines Mannes, sie kommt auch noch.« Dann, geflüstert: »Sie müssen sehr vorsichtig sein, wenn Sie mit ihr reden, sie hat eine Mutterfixierung.«

»Was ist das?«, fragte ich.

Sie riss überrascht die Augen auf. »Sie wissen es nicht?« Und zu Gordon gewandt: »Sie haben doch gesagt, dieses Mädchen sei Ihre Freundin. Reden Sie nie mit ihr?«

»Setzen Sie ihr bloß keine Flausen in den Kopf!«, sagte Gordon. »Mit ihr reden? Was denn noch?«

Ich bot an, ihr dabei zu helfen, das Essen fertig zu machen. Ich hasse es, Frauen in ihrer Küche zu helfen, genauso wie ich es nicht ausstehen kann, wenn ein weiblicher Gast in meine Küche kommt, um mir zu helfen. Nur bei Leuten wie meiner Cousine Sylvia habe ich nichts dagegen, und in dem Fall geht es auch nicht darum, dass die eine der anderen helfen würde, sondern dass wir uns weiter unterhalten können.

Ich folgte ihr in die Spülküche, wo ich, wie erwartet, nichts anderes tat als herumstehen.

Das Hauptgericht war ein Auflauf aus Wurstbrät und Stampfkartoffeln; serviert wurde es auf dem in der angrenzenden Küche gedeckten Tisch. Es gab reichlich Brot und Margarine, ein großes Stück Kuchen, den geschmacksneutralen Käse, den man auf Lebensmittelkarte bekam, und viele halb leere Gläser mit Chutneys und Pickles.

Als wir hereinkamen, saßen da bereits, außer den zwei Männern, die mutterfixierte Schwester und die fünfjährigen Zwillinge des Ärztepaares, ein Junge und ein Mädchen mit großen runden Köpfen und Segelohren und identisch gekleidet in Kittel und Hose.

Die Schwester war eine dralle junge Frau mit roten Backen und krausem braunem Haar; sie sah geduldig und gutherzig aus, und ich war mir sicher, dass sie, wenn ich beispielsweise gestrickt oder getippt hätte, meine fallen gelassenen Maschen aufgenommen oder das Farbband in meiner Maschine gewechselt hätte.



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